Ein aufrechter Kämpfer für Freiheit und Demokratie, ein politischer ...
... Mord auf Befehl eines Monarchen, eine Verschwörung mit Auswirkungen auf die internationale Politik, … was braucht es noch für eine interessante und spannende Dokumentation?
„Jamal war Teil des Regimes“
Ein im Ausland lebender Regimekritiker wird wegen einer Formsache in ein Konsulat seines Heimatlandes bestellt. Eine Gruppe von hochrangigen Regierungsbeamten reist in zwei verschiedenen Regierungsjets an, um den Dissidenten bei diesem Termin im Konsulat zu ermorden und seine Leiche verschwinden zu lassen … Was wie eine Sequenz aus einem Hollywood-Thriller klingt, ist am 02.10.2018 genauso passiert.
Der in Saudi-Arabien geborene aber seit einigen Jahren im Ausland lebende Journalist und Publizist Jamal Khashoggi musste wegen eines Dokuments, das er für seine bevorstehende Heirat benötigte, das saudische Konsulat in Istanbul aufsuchen. Das zu diesem Zweck in die Türkei eingeflogene Todeskommando ermordete Khashoggi noch im Konsulat. Anschließend wurde seine Leiche von einem zum Team gehörenden forensischen Pathologen zerstückelt und beseitigt. Der Aufenthaltsort seiner Überreste ist bis heute unbekannt geblieben.
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Die meisten Fakten dieses Mordkomplotts sind bestens bekannt. Es liegt sogar eine Tonaufnahme des Mordes vor. Die türkischen Behörden aber auch das Team der UNO-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard haben monatelang gründlich ermittelt. Regisseur und Co-Autor Bryan Fogel und seinem Team stand also ausreichend Faktenmaterial für die Dokumentation über dieses Verbrechen zur Verfügung. Es standen auch ausreichend Interviewpartner zur Verfügung, angefangen mit dem türkischen Staatsanwalt, der die Ermittlungen geleitet hat, über Khashoggis Verlobte Hatice Cengiz und viele Freunde und Weggefährten des Ermordeten bis zu internationalen Experten, die den Fall seither untersucht haben.
Und die Macher des Films erledigen ihre Arbeit zum großen Teil großartig. Die Entscheidung, den Menschen Jamal Khashoggi, seinen Werdegang und seine Entwicklung vorzustellen, sich nicht bloß auf den Mord zu konzentrieren, macht den Film zu etwas Besonderem. Khashoggi war früher ein Fürsprecher der saudischen Königsfamilie. Er war ein progressiver Realist, der zwar immer wieder für Reformen eingetreten ist, aber gleichzeitig jahrelang international um Verständnis für das System in einer der letzten absoluten Monarchien in der Welt gebeten hat. Fogel zeigt in seinem Film hervorragend, wie ein Despot, der nicht einmal den Ansatz von Kritik duldet, einen vernünftigen Menschen ins Exil und in den Widerstand getrieben hat. Khashoggi war nicht immer ein Dissident. Er wurde vom saudischen Kronprinzen zum Dissidenten gemacht.
Auch wenn Fogel die Umstände des Mordes beleuchtet, macht er alles richtig. Immer wieder lässt er verschiedene internationale Experten Tatsachen berichten, die so ungeheuerlich sind, dass man nicht nur diese Tatsachen kaum glauben kann, sondern auch kaum glauben kann, dass darüber nicht viel mehr berichtet wurde und all das praktisch ohne Konsequenzen geblieben ist. Wenn wir hören, dass der saudische Geheimdienst das Mobiltelefon von Jeff Bezos gehackt hat, ist das kaum zu glauben. Wenn wir dann erfahren, dass der entsprechende Code dazu in einer persönlichen Nachricht des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman an Bezzos übermittelt wurde, können wir nur noch den Kopf schütteln.
„We don‘t like it even a little bit“
Diese und viele weitere Fakten, die von international angesehenen Interviewpartnern verständlich und nachvollziehbar erläutert werden, hätten zusammen mit dem umfangreichen Archivbildmaterial leicht für einen hochinteressanten und spannenden Dokumentarfilm gereicht. Warum meinten also Fogel und sein Co-Autor Mark Monroe, das wäre noch nicht genug? Monroe ist ein reiner Dokumentarfilmer. Aber Fogel hat vor ein paar Jahren mit „Jewtopia“ sein Spielfilmdebüt inszeniert und produziert. Spielfilme brauchen eine Identifikationsfigur, einen Charakter aus dessen Blickwinkel das Publikum das Geschehen erleben kann. Diese Identifikationsfigur muss nicht immer die Hauptfigur sein. In „Die Verurteilten“ erleben wir die Geschichte von Tim Robbins‘ Figur aus der Sicht des von Morgan Freeman gespielten Gefängnisinsassen. Die Geschichte von „Der große Gatsby“ wird uns von Tobey Maguire erzählt.
Vielleicht meinten die Macher von „The Dissident“ für ihren Film ebenfalls eine solche Identifikationsfigur zu brauchen. Denn schon bald nach Beginn des Films fragt man sich, warum der in Kanada lebende, saudische Regimekritiker Omar Abdulaziz so viel öfter und länger im Bild zu sehen ist, als andere Interviewpartner. Abdulaziz’ Geschichte und die seiner Familie ist ebenso furchtbar wie interessant. Sie würde wohl reichlich Stoff für einen eigenen Film bieten. Und vielleicht hätte man Abdulaziz einen eigenen Film widmen sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen „The Dissident“ um mindestens Zwanzig Minuten gekürzt und aus diesem Material eine weitere Kurz-Doku gedreht zu haben.
Denn „The Dissident“ verliert plötzlich mittendrin sein Thema aus den Augen. Auf einmal sehen wir keinen hervorragenden Dokumentarfilm mehr, sondern ein eher durchwachsenes Dokudrama um Twitter-Trolle im Auftrag der saudischen Regierung. Die computeranimierten Sequenzen um „Fliegen“ und „Bienen“ im Cyberspace sind Stilmittel eines Hollywoodfilms. Hier bekommen wir über weite Strecken keine Dokumentarfilm zu sehen, sondern einen Thriller, der nicht besonders gut gemacht ist. Wenn die Filmemacher damit den Rahmen einer Dokumentation verlassen, kommt der Film ins Schleudern. An der Stelle an der Omar Abdulaziz behaupten darf, Jamal Khashoggi sei seinetwegen ermordet worden, trägt es den ganzen Film aus der Kurve.
Schon früh fällt auf, dass jeder andere Interviewpartner über Khashoggi und damit das Thema des Films spricht, während Abdulaziz vor allem über sich und die Themen spricht, die ihn betreffen. Wenn er dann aber behauptet, Khashoggi sei ermordet worden, weil er Abdulaziz unterstützt hatte, können wir nicht mehr ignorieren, dass keiner der anderen Interviewpartner auch nur ein einziges Mal Abdulaziz oder seine Themen erwähnt. Die Filmemacher erweisen an der Stelle nicht nur ihrem Film, sondern auch Omar Abdulaziz einen Bärendienst, wenn sie den jungen Mann so penetrant und isoliert in den Vordergrund stellen. Schlimmer noch, sie zeigen hier wenig Respekt für die Arbeit des Mordopfers.
Irgendwann findet der Film in seine Spur zurück. Wir erfahren mehr über die Nachwirkungen des Verbrechens und die internationalen Reaktionen. Diese fallen beschämend übersichtlich aus. Und übersichtlich bleibt auch der Anteil an der Laufzeit des Films, der diesem wichtigen Thema gewidmet wird. Ein „Mordprozess“ in Saudi Arabien wird kurz erwähnt und dass einige der Angeklagten in dieser Farce sogar anonym bleiben durften. Aber vieles fällt unter den Tisch. Zum Beispiel wird nicht erwähnt, dass die in Saudi Arabien lebenden Söhne des Mordopfers den Mördern tatsächlich öffentlich „verzeihen“ mussten, damit die Vollstreckung der obligatorischen Todestrafen entfallen konnte.
Wenn wir am Ende des Films wieder minutenlang Omar Abdulaziz gezeigt bekommen, wie er eine youtube-Show inszeniert und moderiert, erinnert auch das wieder unangenehm an einen mittelmäßigen Spielfilm und nicht an eine hochwertige Dokumentation über einen vernünftigen, hochintelligenten Menschen, der für seinen friedlicher Einsatz für Demokratie und Freiheit ermordet wurde. Mit künstlich dramatisierten Szenen wie dieser haben die Macher ihren ansonsten erstklassigen Dokumentarfilm verdorben. Jamal Khashoggi und sein Leben hätten Besseres verdient.
Fazit
Hätten die Macher dieses Films sich darauf konzentriert, über einen Kämpfer für Freiheit und Demokratie, das Komplott zu seiner Ermordung und die internationalen Verwicklungen zu berichten, hätte „The Dissident“ ein vollkommen gelungener Dokumentarfilm werden können. Überflüssige Hollywood-Elemente nehmen dem Film viel von seiner Wirkung.
THE DISSIDENT erscheint am 16. April digital sowie ab 23. April als Video on Demand. Ein Kinostart erfolgt mit Öffnung der Filmtheater.
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