Abenteuerland

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Braucht es für Abenteuer wirklich unbedingt Reisen in fremde Länder?
 
Und braucht es für eine Doku wirklich unbedingt exotische Drehorte?
 
Mikro-Abenteuer
 
Podcaster Christo Foerster erlebt regelmäßig selbstgestaltete „Mikro-Abenteuer“. Diese dürfen maximal 72 Stunden dauern, müssen in der Nähe seines Wohnortes Hamburg stattfinden und er darf während dieser Abenteuer nur möglichst CO2-neutral reisen und nur draußen schlafen. Doch eines Tages begibt er sich auf ein „Makro-Abenteuer“: Quer durch sein Heimatland will Foerster zu Fuß und mit dem Paddelboard von der Zugspitze nach Sylt reisen. Abgesehen vom geografischen Rahmen gelten aber weiterhin die Regeln seiner „Mikro-Abenteuer“ ...
 
„Abenteuerland“ ist ein unterhaltsamer, interessanter Film. Das Thema mag zum Nachdenken anregen. Muss es wirklich immer die Fernreise sein? Kennen wir unsere Umgebung wirklich so gut, haben wir wirklich alles in unserer Nähe schon gesehen, hat uns die Heimat wirklich gar nichts mehr zu bieten, dass wir mehrmals pro Jahr in ferne Länder reisen müssen?
 
Christos Reise beginnt auf der Zugspitze. Und die Zugspitze kennt doch jeder. Höchster Berg Deutschlands, 2962 Meter hoch, mit Zugspitzbahn und anderen Seilbahnen ein beliebtes Ausflugsziel für Familien, im Panoramarestaurant kann man auf der Panoramaterrasse Weißwurst und Currywurst genießen. Aber Christo Foerster und sein Freund, der Filmemacher Kai Hattermann zeigen uns wunderschöne Bilder einer anderen Seite der Zugspitze.
 
Die Zugspitze, das ist hochalpines Gebiet. Abseits der Seilbahntrasse erstreckt sich ein fremdartiger und durchaus auch gefährlicher Lebensraum. Selbst Abenteuer-Profi Christo Foerster muss das feststellen, wenn er merkt, der Hauptteil seiner Ausrüstung war zwar für die Fahrt zum Gipfel leidlich gut verstaut, aber nicht für den beschwerlichen Abstieg über Routen, die nur von den wenigsten Touristen begangen werden.
 
Foerster und Hattermann zeigen uns wunderschöne Bilder, jene welche uns das Fremde, Besondere und Abenteuerliche der Zugspitzregion zeigen. Dass das Konzept des Films es zum Beispiel nicht erlaubt, für schönere Aufnahmen auf besseres Wetter zu warten, verleiht dem Ganzen eine „reale“ Qualität, die anderen, weichgespülten Dokumentarfilmen oft fehlt. Ansprechende Bilder und einige kluge O-Töne Foersters vermitteln uns, wie viel Fremdes im Vertrauten, wie viel Abenteuerliches im Bekannten der Heimat zu finden sein kann.
 
Foersters O-Töne und Off-Kommentare sind immer dann am besten, wenn er dem Publikum im Plauderton wenig bekannte Informationen über vermeintlich wohlbekannte Orte und Regionen vermittelt, ohne belehrend zu klingen. Im Gespräch mit einem Wanderkameraden erfahren wir beispielsweise etwas über die beiden anderen, nicht mehr vorhandenen Gipfel der Zugspitze. Und nachdem Foerster die günstige Strömung der Donau hinter sich gelassen hat, hören wir, warum er auf dem Main-Donau-Kanal nun weit mehr zu paddeln hat als vorher.
 
 
54 Tage, 1602 Kilometer
 
Aber Foerster kommentiert nicht nur die Umgebung und versorgt uns nicht nur mit Wissenswertem zu den Stationen seiner Route. Bereits auf dem Gipfel der Zugspitze hören wir ihn wiederholt versichern, „Das fühlt sich so gut an“. Und schon an dieser Stelle mag man sich fragen, ob er sich selbst oder das Publikum zu überzeugen versucht. Im Verlauf des Films folgen noch einige Stellen, an denen es wirkt, als wollte Foerster eine Stimmung herbeireden, die uns der Film sehr viel subtiler vermitteln könnte. Selbst am Ende des Films muss Foerster uns noch über die „sehr lebendige Zeit“ der vergangenen 54 Tage erzählen, statt auf die Qualität des Materials zu vertrauen.
 
Und gerade weil Foerster so viel vermeintlich Bedeutsames mit sich selbst und zum Publikum spricht, fällt irgendwann auf, wie wenig er mit anderen Menschen spricht. Nachdem ein Hüttenwirt auf der Zugspitze über eine Vorgängerin erzählt hat, hören und sehen wir kaum noch andere Menschen auf seiner langen Reise. Aber sind es nicht vor allem die dort lebenden Menschen, die Orte und Regionen mit Leben füllen?
 
Durch die Entscheidung der Filmemacher, sich auf Foerster und sein Erleben zu konzentrieren, fehlt dem Film ein wesentlicher Aspekt allen Reisens: die Begegnung mit anderen Menschen. So hat Foerster viel Zeit, sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. Dem Betrachter bleibt so nichts anderes übrig, als das zu betrachten. Und wir alle kennen das: wenn man längere Zeit nur mit einer Person alleine verbringt, fallen einem irgendwann Kleinigkeiten auf, die einem sonst nicht aufgefallen wären und die einen sonst vielleicht auch gar nicht gestört hätten.
 
Foerster erwähnt früh im Film seine Neigung, Sachen zu verlieren. Später zeigt er uns Blasen an seinen Füßen. Aber wir wissen auch, er hat nur zwei Paar Socken mitgenommen, von denen er eines immer tragen muss, was dem anderen Paar niemals genug Zeit zum Trocknen verschaffen wird. Wenn er dann noch erzählt, er hätte einen Socken seines zweiten Paares verloren, hält sich das Mitleid in Grenzen. Es wird auch nicht größer, wenn wir hören, wie er auch noch eine seiner ebenfalls wichtigen Wasserflaschen und eine fast noch wichtigere Schaufel verloren hat. Nur wäre ein drittes Paar Socken nicht immer noch leichter gewesen als ein elektrischer Barttrimmer?
 
Doch wichtige Ausrüstungsgegenstände in unzureichender Menge mitzunehmen und/oder zu verlieren ist einfach nur ungeschickt. Was sollen wir aber davon halten, wenn Foerster bereits am 19. Tag seiner Reise darüber spricht, so entrückt zu sein, die Probleme seiner Familie nicht mehr verstehen zu können? Wenn ein längerer Wanderurlaub ausreicht, um die emotionale Verbindung zur Frau und zwei kleinen Kindern zu schwächen, sollte man vielleicht gar nicht allzu viel Zeit alleine verbringen.
 
Wenn unser Wandersmann und Abenteurer gegen Ende der Reise vor sich hin philosophiert, sein Verhältnis zu Entfernungen hätte sich verändert, wird es dann ein bisserl viel. Entfernungen waren immer schon relativ. Für uns alle. Eine Strecke, die in der Ebene einen netten Spaziergang darstellt, ist in den Bergen vielleicht kaum in zwei Tagen zu schaffen. Deshalb sind Wanderkarten ja auch topografisch korrekt. Natürlich ist auch die Wahl der Fortbewegung entscheidend. In einem ICE legt man beispielsweise unter Umständen eine Strecke zurück, die zu Fuß eine Tagesreise darstellt.
 
Wenn Foerster allerdings mal keine Weisheiten von sich gibt, die auch Menschen, die nicht quer durch Deutschland gepaddelt sind, längst klar sind, dann sehen wir hier einen wunderschönen Film, der uns vermeintlich bekannte Regionen und Orte aus ungewohnten Blickwinkeln zeigt. Am Ende hätten wir gerne noch mehr von Foersters Reise gesehen, ... wenn wir dafür ein bisschen weniger von ihm gehört hätten.
 
 
Fazit
 
So wie es für Abenteuer nicht unbedingt Reisen in fremde Länder benötigt, braucht es für eine interessante Doku nicht unbedingt exotische Drehorte. Es braucht eine originelle Idee, eine kompetente Umsetzung und schöne Bilder. Und es braucht gar nicht so viel Kommentar vom Protagonisten.
 
 
ABENTEUERLAND ist ab dem 27. Oktober 2023 im Heimkino erhältlich.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor/in: Walter Hummer
  • Regisseur: Kai Hattermann
  • Drehbuch: Kai Hattermann
  • Besetzung: Christo Foerster