Die unendliche Weite des Himmels

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Vor hundert Jahren waren Bergsteiger oft Forscher und Wissenschaftler.
 
Sie drangen in das Unbekannte vor, um unsere Welt besser kennen zu lernen. Aber warum bringen sich Kletterer im 21. Jahrhundert in Gefahr?
 
Wir wollten uns selbst testen
 
Die drei Bergsteiger Zack, Renan und Freddie wollen das „Moose‘s-Tooth“ Massiv des Denali in Alaska erklettern und überqueren. Dieser „Elchzahn“ ist eine der schwierigsten Strecken eines der anspruchsvollsten Berge in einer der härtesten Gegenden der Welt. Ein erster Versuch zu zweit muss abgebrochen werden. Und auch ein zweiter Versuch zu dritt ist nicht von Erfolg gekrönt …
 
Renan Öztürk und Freddie Wilkinson, zwei der Protagonisten und die Regisseure von „Die unendliche Weite des Himmels“ sind Bergsteiger. Man könnte schreiben, sie sind mit Leib und Seele Bergsteiger. Sie leben für und durch das Bergsteigen. Weil ihr Film ein angenehm ganzheitliches Bild bietet, sehen wir in einigen Szenen auch wie die Männer leben, wenn sie gerade nicht auf Berge klettern. Wenn wir gezeigt bekommen, wie einer der drei leider Jobs ausüben muss, die nichts mit Bergsteigen zu tun haben um sein wahres Leben finanzieren zu können, haben wir tatsächlich Mitleid. Zu traurig ist es, zu sehen wie der arme Mann nicht ständig bergsteigen kann.
 
Wir bekommen auch die Faszination für den Denali vermittelt. Der Denali, mit 6190 Metern oder eben 20.130 Fuß größte Berg Nordamerikas, hieß übrigens bis 2017 noch Mount McKinley. Er bildet einen Teil der Alaskakette und hat die höchste relative Höhe alle Berge der Welt. Das bedeutet, kein Berg ist im Vergleich zu seiner Umgebung höher, ragt höher über die umliegende Landschaft hinaus. Er liegt in einem der unzugänglichsten Gebiete der Erde und ist für seine, selbst für Berge dieser Höhe, extremen Wetterbedingungen bekannt.
 
Aber all diese Fakten vermitteln nichts von der bizarren Schönheit dieses Berges und seiner Umgebung. Der Berg selbst, der Ruth-Gletscher und die zum Gletscher gehörende Ruth-Schlucht sehen aus wie ein Teil einer anderen Welt. Es wirkt, als hätten kindliche Götter ihre schönsten Berge und Felsen in einem Gebiet zusammengetragen und mit malerischem Eis überzogen, um sich an dem Anblick erfreuen zu können. Eine der beiden größten Pluspunkte des Films sind die großartigen Luftaufnahmen, die uns diese atemberaubende Schönheit erfahren lassen. Ich weiß, die wenigsten von uns sehen sich Dokumentationen tatsächlich im Kino an. „The Sanctity of Space“, so der Originaltitel, sollte unbedingt im Kino gesehen werden.
 
 
Aber die fantastischen Luftaufnahmen vermitteln uns nicht nur „die Heiligkeit des Raumes“. Über diese Bilder macht man uns auch mit Bradford Washburn bekannt. Ein Experte meint an einer Stelle des Films, Washburn wäre, „Pädagoge, Wissenschaftler und Entdecker“ gewesen. Tatsächlich war der 2007 mit 97 Jahren verstorbene Bradford Washburn nicht nur ein Pionier des Bergsteigens und der Luftfotografie. Der studierte Geologe und Geograph war einer der wichtigsten Kartographen des Denali und des Mount Everest und so ganz nebenbei noch Museumsdirektor.
 
Wenn wir immer wieder auf diesen faszinierenden Mann und seine noch faszinierendere Arbeit zurückkommen, bildet das den zweiten großen Pluspunkt des Films. Wie nebenbei lernen wir einen echten Forschergeist kennen. Wie nebenbei lassen uns die Filmemacher aber auch erkennen, Bergsteigen ist nichts, was zwei oder drei Einzelgänger für sich unternehmen. Nichts und niemand existiert für sich. Bergsteiger erklettern Routen, die andere erforscht oder kartographiert haben. Sie leben von und durch die Erfahrungen und Erkenntnisse ihrer Vorgänger. Bergsteiger sind keine Einzelgänger, sie sind Teil einer Gemeinschaft mit einer eigenen Geschichte. Deshalb wirken Verluste innerhalb dieser Gemeinschaft auch umso stärker.
 
Wir fanden ihre Leichen im Lawinenschnee
 
Öztürk und Wilkinson gelingt es hervorragend, uns Washburns Motivation und die Bedeutung seiner Arbeit näher zu bringen. Schade, dass Ihnen das für ihre eigene Motivation nicht recht gelungen ist. Der Tod zweier Freunde während einer Bergtour in China wird erwähnt, aber der Film lässt diesen bald wieder fast vergessen. Die Macher haben keinen eigenen off-Kommentar aufgenommen. Das ist eine wohltuende Abwechslung zur gängigen Praxis vieler Dokumentarfilmer. Aber hier reichen die Erklärungen und Beschreibungen der wenigen Interviewpartner und der drei Bergsteiger im Bild leider nicht ganz aus, uns zu vermitteln warum gerade dieses Bergmassiv gerade so bestiegen werden muss. Am Ende des Films ist uns Bradford Washburns Arbeit näher gebracht worden, als die der Protagonisten.
 
Aber dann sehen wir wieder grandiose Luftaufnahmen der Bergsteiger am Gipfel oder ganz vorne auf absurd gefährlich wirkenden Graten oder in zerklüfteten Felswänden. Es sind die wirklich hervorragenden Bilder dieser einzigartigen Landschaft die diesen Film am Ende retten. Wir lernen eine der fremdartigsten Gegenden der Welt kennen und werden davon fasziniert. Schade, dass das mit den Protagonisten des Films nicht gelingt.
 
 
Fazit
 
Dieser Film bietet großartige Bilder einer einzigartigen Landschaft und das Portrait eines faszinierenden Forschers. Vielleicht bringen sich junge Männer im 21. Jahrhundert wegen solcher Landschaften und dem Erbe großer Männer immer noch in Gefahr? Schwer zu sagen.
 
Kinostart: 04.08.2022
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor/in: Walter Hummer
  • Regisseur: Renan Ozturk
  • Drehbuch: Freddie Wilkinson
  • Besetzung: Renan Ozturk, Freddie Wilkinson