Diego Maradona

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Nach „Senna“ und „Amy“ hat der britische Regisseur Asif Kapadia wieder eine ...
 
... Dokumentation über einen einstmals großen Star in die Kinos gebracht. Aber Diego Maradona war lange Zeit mindestens ebenso berüchtigt wie berühmt.
 
05.07.1984
 
Es gab einmal eine Zeit, als umgerechnet 12 Millionen Euro eine Rekordsumme für einen Spielertransfer im internationalen Profifußball waren. Vor Fünfunddreißig Jahren wechselte Diego Maradona für diesen Betrag vom FC Barcelona zum SSC Neapel. Nie zuvor war eine solche Summe für einen Spieler bezahlt worden. Nie zuvor hat ein Spieler eine zuvor eher erfolglose Mannschaft zu so vielen Siegen geführt. Nie zuvor war ein Spieler in einer Stadt so verehrt worden. Und nie zuvor ist ein Spieler nach solchen Höhenflügen so schnell so tief gefallen …
 
Asif Kapadia hat sich für seine neue Dokumentation kein einfaches Thema gewählt. Anders als bei Ayrton Senna, der selbst von seinen Konkurrenten als Mensch immer hoch geschätzt wurde, werden sich außerhalb von Argentinien und Neapel nur wenige Menschen finden lassen die etwas Gutes über den Menschen Diego Maradona zu sagen hätten. Anders als „Amy Winehouse“, die sich mit ihrer Sucht bloß selbst zerstört hatte, hatte Maradonas egozentrische Rücksichtslosigkeit immer wieder negative Auswirkungen auf die Menschen in seiner Umgebung aber auch auf den internationalen Fußball.
 
Und zunächst meint man noch, Kapadia wäre tatsächlich an einem kritischen Bild dieses Ausnahmefußballers gelegen. Wenn er Maradona bereits in einer der ersten Szenen in einem protzigem Pelzmantel zeigt oder wenn wir hören, wie der große Pelé erklärt, Maradona sei psychisch nicht in der Lage Verantwortung zu tragen, meinen wir ein differenziertes Bild dieses merkwürdigen kleinen Mannes und außergewöhnlichen Fußballers gezeigt zu bekommen.
 
Aber schnell ändert sich das Bild. Maradona wird als Leidender gezeigt. Der Knöchelbruch während seiner Zeit beim FC Barcelona war sicher keine Kleinigkeit. Über die von Maradona angezettelte Massenschlägerei beim Pokalfinale erfahren wir im Film aber nichts. Auch nicht darüber, dass eben dieser Vorfall einer der Hauptgründe war, warum Maradona von Barcelona überhaupt auf die Transferliste gesetzt wurde.
 
Auch nach seinem Wechsel nach Neapel soll uns Maradona vor allem leidtun. In einer hervorragend zusammengestellten Montage erleben wir eine Reihe von frustrierenden Niederlagen mit diesem großartigen Fußballer. Wenn er sich, obwohl körperlich klar unterlegen, wieder einmal freigespielt hat, um dann enttäuscht festzustellen, dass wieder mal kein Mitspieler freisteht dem er den Ball abgeben könnte, fangen wir an diesen Ballartisten, diesen verbissenen Kämpfer zu bewundern.
 
Aber wenn Maradona davon spricht, bei seinem Eintreffen in Italien pleite gewesen zu sein, wirft das Fragen auf, die der Film nicht wirklich zu beantworten versucht. Lieber zeigt man uns die Bilder des Slums von Villa Fiorito, in dem Maradona als viertes von acht Kindern aufgewachsen ist. Die ganze Familie musste in einem einzigen Raum schlafen, bis der junge Diego bereits mit 15 Jahren eine Wohnung von seinem damaligen Verein zur Verfügung gestellt bekam. Das ist alles bewegend, erklärt aber nicht, wie Maradona sich nur wenige Jahre später so schnell zu einem skrupellosen Egoisten entwickeln konnte.
 
 
22.06.1986
 
An Erklärungen zeigt Kapadia auch bei anderen Gelegenheiten kein Interesse. Maradonas Tor durch Handspiel im Viertelfinale der WM 1986 in Mexiko stellt eine der übelsten Fehlentscheidungen in der Geschichte des Fußballs dar. Einer der größten Skandale wurde es aber erst durch Maradonas hartnäckige Weigerung, seinen Fehler einzugestehen. Kenntnisse der damaligen politischen Situation würden einem vielleicht helfen, die trotzig-arrogante Haltung des Fußballstars besser zu verstehen. Aber abgesehen von einer flüchtigen Erwähnung des Falklandkriegs, bleibt der Film auch hier die Erklärung schuldig.
 
Nur für eines findet Kapadia immer wieder Erklärungen: für Maradonas tiefen Fall am Ende seiner Zeit in Neapel. Die Camorra war schuld. Die Polizei war schuld. Die Vereinsleitung war schuld. Die neapolitanischen Fans waren schuld, weil sie sich von dem Star abgewandt hatten, nachdem er ihr Team mit der argentinischen Nationalmannschaft bei der WM 1990 im eigenen Stadion besiegt hatte. Kein Wort davon, dass der immer schon zur Pummeligkeit neigende Maradona zum Saisonauftakt 1990 deutlich übergewichtig nach Neapel zurückkehrte und anschließend nur schwache Leistungen zeigte.
 
Am Ende entsteht im Film der Eindruck, Maradona sei mit Schimpf und Schande aus Neapel verjagt worden. Tatsächlich hat der SSC Neapel Maradonas Rückennummer, die 10, seit seinem Weggang aus Respekt vor seinem größten Star nie wieder vergeben. Erst vor kurzem wurde der Ex-Fußballer zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.
 
Und weil Kapadia Maradonas Geschichte bereits seit zwei Stunden extrem selektiv erzählt, ist es auch nur stimmig, wenn er die Zeit nach Maradonas Verhaftung 1991 in Argentinien komplett unter den Tisch fallen lässt. Plötzlich ist es 2014, wir bekommen ein paar Bilder eines weinenden Maradona gezeigt. Warum und aus welchem Anlass er weint, bleibt unklar. Noch ein Bild, das Maradona endlich mit seinem lange Zeit verleugneten Sohn zeigt und dann ist der Film auch schon zu Ende.
 
Die Hand Gottes Dabei hätten Kapadia alle Zutaten zu einer großen Dokumentation zur Verfügung gestanden. Maradona und einige wenige Weggefährten standen für ausgiebige O-Töne bereit. Die Rechercheabteilung hat eine Bilderflut von Archivmaterial zur Verfügung gestellt. Aber die O-Töne sind viel zu einseitig. Und weil Kapadia während des ganzen Films ausnahmslos Archivmaterial zeigt, verliert man auch schnell den Überblick wessen Stimme gerade die Bilder aus dem Off kommentiert.
 
 
Fazit
 
Für eine echte Dokumentation ist Asif Kapadias Film leider zu einseitig ausgefallen. Für eine Heldengeschichte ist der Held zu wenig Held und zu sehr Schurke. So bleibt ein unausgewogener Film, der seine Möglichkeiten nicht nutzt.
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor/in: Walter Hummer
  • Regisseur: Asif Kapadia
  • Drehbuch: Asif Kapadia
  • Besetzung: Diego Maradona