Peter Lindbergh - Women's Stories

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Die Dokumentation „Peter Lindbergh - Women’s Stories“ handelt nicht, wie der Titel ...
 
irrtümlicherweise vielleicht vermuten lässt, von den Geschichten der Frauen auf den Bildern des Starfotografen. Vielmehr ist in Jean Michel Vecciets filmischer Reise der berühmte Künstler des 20. Jahrhunderts selbst das Thema. Dazu gehört es selbstverständlich, hinter seine Kamera zu blicken und ihn bei der Arbeit, beim Fotografieren selbst, beobachten zu dürfen. Doch auch Inspirationen und Vergangenheit des Künstlers werden thematisiert: Abwechselnd sprechen (ehemalige) Partnerinnen, Familienmitglieder und Models über ihre gemeinsame Zeit mit Lindbergh. Unterlegt werden diese Erzählungen passend zum Thema mit Fotos, sowie bewegten Bildern.
 
Das Leben schreibt die unglaubwürdigsten Geschichten
 
Großartig an Dokumentationen ist meist das Drehbuch. Das Leben schreibt die spannendsten Geschichten. Wenn es sich in Filmen manchmal anfühlt, als hätte der Autor zu doll auf die Tränendrüse gedrückt und das Publikum deswegen daran gehindert wird, sich in den Streifen einzufühlen, liegt dies meist an der zu dramatischen und deshalb unglaubwürdig erscheinenden Handlung. Würde Lindberghs Vergangenheit die Grundlage für ein fiktives Drama bilden, würden die meisten dieses vermutlich nur belächeln: Zu deutlich scheint hier das Image des kämpfenden Künstlers durch, der sich schon in Kindheitstagen durchbeißen muss und das Erlebte schließlich in erfolgreicher Kunst ausdrücken darf - selbstverständlich nach anfänglichem Kopfschütteln der Kritiker und vielen, vielen Absagen.
 
Doch genau das ist in Vecciets Dokumentation zu sehen: Lindbergh wird 1944, gegen Ende des zweiten Weltkriegs, geboren. Als Baby wird er bereits als tot erklärt, da er sich nach dem Miterleben der Luftangriffe auf Dresden in einer Schreckstarre befindet. Entgegen aller Erwartungen kommt Lindbergh jedoch wieder zu Kräften und wird weiterhin vom Krieg geprägt - in seiner Kindheit durch das zerstörte Nachkriegsdeutschland. Er ist ein rebellisches Kind (bei einem fiktiven Drehbuch würden Kritiker an dieser Stelle vermutlich erneut auf dem Künstlerklischee rumhacken), das aufgrund seines Widerstandes und seinem Protest gegen die Lehrer nicht nur mit der schlechtesten Schulnote, einer 6 bewertet wird, sondern symbolisch sogar mit einer 8 benotet wird.
 
 
Schauspielerin statt Model
 
Eines seiner Idole ist Vincent Van Gogh – ihn interessieren keine „langweiligen detailgetreuen Abbildungen“, sondern die Gegensätze, die Geschichten dahinter. Die reiche schöne Frau im noblen Viertel interessiert als Motiv hierbei nicht, in ärmeren kriminellen Gegenden jedoch, wird aus dieser ein spannendes Motiv. Ganz nach Pina Bauschs Motto, deren Kompanie Lindbergh ebenfalls fotografisch begleitet hat: „Mich interessiert es nicht, wie sich ein Mensch bewegt, mich interessiert, was diesen Menschen bewegt.“ Lindbergh präsentiert seine Models ohne viel Zirkus, meist steht die Natürlichkeit im Vordergrund.
 
Somit werden nicht nur glänzende Hüllen gezeigt, sondern auch die Fehler, die Besonderheiten und die Menschen dahinter. Eines der Erfolgsgeheimnisse seiner Werke liegt vermutlich darin, die Frauen authentisch abzulichten. Er zeigt starke Persönlichkeiten, keine Models, die etwas verkaufen. Im Film wird besonderes Augenmerk darauf gelegt, zu zeigen, wie wohl sich die Personen vor der Kamera fühlen. Es wird viel gelacht und der Raum ist da, Ängste zu überwinden (so sieht man beispielsweise, wie sich Naomi Campbell unter Protest in den Pool traut, obwohl sie angeblich nicht schwimmen kann). Models wachsen dem bloßen Verkaufen ihres Äußeren hinaus und werden zu Schauspielerinnen, die eine Situation, einen Charakter präsentieren.
 
 
Museumsrundgang statt Blick auf die Intention
 
Durch den Film bekommt man einen großartigen Überblick über die Arbeit Lindberghs. Wer vorher noch nie etwas von ihm gehört hat, kommt danach aus dem Kino raus und fühlt sich, als hätte er mehrere verschiedene Ausstellungen von ihm durchlaufen.
 
Dennoch bleiben interessante Details unbehandelt: Auch, wenn der Film den Zuschauer hinter die Kulissen der Shootings mitnimmt und viel von Lindberghs Privatleben Preis gibt, so gibt es keinen Moment, an dem die einzelnen Intentionen der Shootings klar werden. Woher kommen seine Ideen? Was wünscht sich der Künstler, worauf arbeitet er hin? Was drücken seine Bilder für ihn aus? Dies wird vermutlich immer ein Teil der Kunst bleiben, diese Fragen als Zuschauer und Betrachter für sich selbst zu beantworten.
 
 
 
 
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Weitere Informationen

  • Autor/in: Katharina Mühl
  • Regisseur: Jean Michel Vecchiet
  • Drehbuch: Jean Michel Vecchiet